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06.11.2024 Prozess gegen Templiner SklavenhalterEr roch die Angst seines OpfersNeuruppin (ipr) Am heutigen Mittwoch soll das Urteil im Prozess gegen einen Templiner Neonazi und Gewalttäter vor den Landgericht Neuruppin gefällt werden. Der Staatsanwalt hat in seinem Plädoyer Mitte Oktober für die 27 Gewalttaten gegen sein Opfer sechs Jahre Haft gefordert. Der 29-jährige Angeklagte hat gestanden einen ein Jahr älteren Mann über acht Monate hinweg gedemütigt, geprügelt, gefoltert, erpresst, im Grunde wie einen Sklaven behandelt zu haben. Die Nebenklage fordert ein Schmerzensgeld von 25.000 Euro für das Opfer.
Der damals 27-Jährige hat sein Opfer - nennen wir ihn Paul R. - unter anderem durch Scheinerschießungen, mit Faustschlägen, Schlägen mit einem Stock, Würgen bis zur Ohnmacht, Ausdrücken von Zigaretten auf dem Körper gefügig gemacht. Der 27-jährige Paul R. musste die Wohnung des Täters reinigen, Einkäufe erledigen und monatliche Geldzahlungen an den Angeklagten geleistet. Mehrfach musste das Opfer den Hitlergruß vor einer Hakenkreuz-Fahne im Schlafzimmer des Angeklagten zeigen. Der Deal Zu Beginn des Prozesses hatten die beteiligten Parteien eine Vereinbarung getroffen. Sollte der Angeklagte ein umfassendes Geständnis ablegen, käme ein Strafrahmen von fünf bis sechs Jahren in Betracht. Die Aussage Die Aussage von Tom W. war dann allerdings spärlich. Er gestand die Taten, die in der Anklageschrift aufgelistet waren, berief sich dabei allerdings auf alkoholbedingte Erinnerungslücken, um nicht präziser werden zu müssen. Zwischen zwei und fünf Flaschen "Sauren Apfel" will er täglich getrunken haben. Staatsanwalt Reinhardt nannte die Aussage in seinem Plädoyer "schmallippig". Er erklärte aber auch, dass durch die Nachfragen des Gerichts vieles deutlich geworden sei. Reinhardt hielt die Erinnerungslücken durch Alkoholkonsum für eine reine Schutzbehauptung. Der psychiatrische Gutachter Frank Wendt betonte, dass Tom W. alkoholkrank sei, sah dadurch aber keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Paul R. sagte dazu, dass er seinem Peiniger oft habe Alkohol kaufen müssen. Dass er bei seinen Taten aber immer ganz klar gewirkt habe. Diese Klarheit geht deutlich aus einem Telefonat hervor, das im Gerichtssaal abgespielt wurde. Nachdem Paul R. zuerst von Tom W. und danach von Lennox H. mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen wurde und zu Boden ging, rief Tom W. einen Krankenwagen herbei, um sein Opfer ins Krankenhaus bringen zu lassen. In der Leitstelle werden die Notrufe aufgezeichnet. Die Drohkulisse Das Opfer hat Tom W. im November 2022 kennengelernt. Damals arbeitete Paul R. Gemeinsam mit seiner Nichte bei einem Pizza-Lieferservice in Templin. Tom W. war dort wohl öfters anzutreffen. Tom W. hatte sich Paul R. gegenüber als Mitglied des kriminellen Rockerclubs "Tuisco" präsentiert, der in den Bereichen Drogenhandel, Menschenhandel und Schutzgelderpressung aktiv sei. Tatsächlich besitzt er auch eine Kutte dieses Clubs. Tom W. hatte seinem Opfer erzählt, dass er schon häufig Geld eingetrieben und schon vielen Leuten Finger abgeschnitten habe. Gegenrede.info gegenüber sagte Paul R., allein schon die Kutte habe ihm Angst eingejagt. Da Tom W. bei jedem vermeintlichen Fehlverhalten seines Opfers mit brutaler Gewalt reagierte, bestätigte er so die Erzählung von dem kriminellen Club als dessen Mitglied er sich präsentierte. Von daher waren die Drohungen des Clubs seinen Familienangehörigen etwas anzutun für Paul R. absolut glaubwürdig. So kündigte Tom W. an, ihn aufzuschlitzen, zu zerstückeln und in den Kanal zu werfen, seine Nichte nach Thailand zu verschleppen, von Kokain abhängig zu machen und zur Prostitution zu zwingen. Den Bruder wollte er erschießen. Die Ermittlungen der Polizei brachten keine Belege dafür, dass "Tuisco" mehr ist als der Name des germanischen Stammvaters in den Schriften des römischen Geschichtsschreibers und Politikers Tacitus.
Immer wieder tauchte in den dreitägigen Anhörungen des Opfers vor Gericht die Frage auf: Warum hat sich Paul R. nicht an die Polizei gewandt? Er erklärte das jedes Mal mit der Angst um seine Familie. Nachdem er über Scheinerschießungen, Würgen bis zur Ohnmacht, Hautaufritzen mit dem Messer und Salz in die Wunde streuen berichtet hatte, fragte Verteidiger Peter Hartung allen Ernstes beim Anklagepunkt 26 (zu Boden schlagen und in den Rücken treten), ob er nicht gemerkt habe, dass sein Mandant nur bluffe. Das Ende der Folter Als Tom W. In der Nacht zum 30.01.2023 mehrfach ansetzte seinem Opfer mit einem Tritt auf eine Zange einen Zeh abzutrennen, und als das nicht klappte den kleinen Finger der rechten Hand in Angriff nahm, bekam Paul R. einen Nervenzusammenbruch. So beschreibt er es. Endlich fand er den Weg zur Polizei und beendete so sein Martyrium. Zwei Tage später stürmten Beamte des SEK die Wohnung vom Tom W. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Das Gutachten Die Frage, ob die politische Haltung des Angeklagten bei den Taten eine Rolle spielte, ob er sein Opfer als Untermensch betrachtet, beantworte der psychiatrische Gutachter Frank Wendt klar mit "Nein". Hier seien zwei Menschen aufeinander getroffen, der eine, Tom W., mit einem unsicheren Selbstbild, der sich vom Leben benachteiligt sehe. Der andere Paul R., der Anschluss suchte und in Tom W. jemanden gefunden habe, den er als stark empfunden habe. "Einer will seine Defizite durch die des anderen ausgleichen", nannte Wendt als mögliches Motiv für die Misshandlungen und Demütigungen. Der Schwächere habe dem Stärkeren keine Grenzen gesetzt. Das Plädoyer des Staatsanwalts Für Staatsanwalt Reinhard steht fest, dass sich die Taten im Wesentlichen so zugetragen haben wie angeklagt. Über einen längeren Zeitraum habe Tom W. sein Opfer misshandelt, so Reinhardt. Er habe eine Drohkulisse aufgebaut, um Paul R. gefügig zu machen, ihn abgerichtet wie einen Hund. "Er musste zu jeder Zeit bereitstehen." Sozusagen auf Pfiff musste der 30-Jährige zu dem Angeklagten kommen, für ihn einkaufen, seine Wohnung putzen.
Staatsanwalt Reinhard sprach davon, dass es "sadistischer" nicht sein könne, wenn Tom W. glimmende Zigaretten in der Hand und auf dem Kopf seines Opfers ausdrücke. Er bekomme Gänsehaut bei der Vorstellung, wie Tom W. eine Scheinhinrichtung inszeniert und anschließend zu Paul R. gesagt habe: "Ich rieche deine Angst." Der Staatsanwalt fordert sechs Jahre Haft und liegt damit an der oberen Grenze der Vereinbarung. Nebenklage Das Opfer von Tom W. tritt im Prozess als Nebenkläger auf. Sein Anwalt fordert 25.000 Euro Schmerzensgeld für seinen Mandanten. 5000 Euro will Tom W. zahlen. Ein Delikt bewertet der Prenzlauer Anwalt Andreas Brand anders als die Staatsanwaltschaft. Im Würgen des Opfers bis zur Ohnmacht bei übergestülpter Plastiktüte sieht er einen versuchten Totschlag statt der angeklagten gefährlichen Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung. Er wird das in seinem Plädoyer heute begründen müssen. Ihre Meinung |